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Der begehbare Ittenkreis
Eine synästhetische Klang-Installation
 
2009











Im Rahmen des Stipendiums Kunst-Wissenschaft-Wirtschaft
im Künstlerdorf Schöppingen
April und Mai 2009
Die in Schöppingen entstandene Installation ist Bestandteil eines künstlerischen Forschungsprojektes zum Wahrnehmungsphänomen „Synästhesie” und befasst sich mit dem sogenannten Farbenhören.
Dabei werden Töne, Klänge, Geräusche und Stimmen farbig wahrgenommen und haben bei den meisten Synästhetikern auch eine Form und eine Materialbeschaffenheit, sie bilden gar Skulpturen im Raum.
Diese Zuordnung von Farbe, Form und Material zu einem Klang bleibt konstant und bildet ein inneres Lexikon, das der Erinnerung dient: „Ich habe den Klang schon einmal gesehen”. Allerdings sind die Farblexika verschiedener Synästhetiker nicht identisch, jeder hat sein eigenes subjektives System. Für den einen kann beispielsweise der Klavierton a1 rot und glatt sein und die Form einer Schüssel haben, für den nächsten ist der Ton blau, samtig und hat eine Tropfenform.
Obwohl Verknüpfungen zwischen allen Sinnen möglich sind und es so unterschiedlichste Erscheinungsformen der Synästhesie gibt, wie Gerüche fühlen, Klänge schmecken, Schmerzen sehen, Farben riechen. (siehe die Liste von Sean A. Day), treten die Formen des Farbenhörens und der Graphem-Synästhesie, bei der Buchstaben, Zahlen, Vokale und Wochentage eine Farbe haben, gehäuft auf.

Während lange angenommen wurde, dass die synästhetische Wahrnehmung einer guten Vorstellungskraft oder Assoziation zuzurechnen sei, haben Hirnforscher in elektrophysiologischen und funktionell bildgebenden Verfahren herausgefunden, dass „im menschlichen Gehirn bei synästhetischen Prozessen die >Konnektivität<, d.h. die neuronale Koppelung zwischen verschiedenen zentralen Untereinheiten erhöht ist.” (Emrich in: Rowedder 2009)
Die Synästhesie-Forschung erhofft sich Aufschlüsse über die Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins und die Struktur von Subjektivität (Emrich).

Bei meinem künstlerischen Forschungsansatz zum Farbenhören geht es darum, Kriterien oder Anhaltspunkte zu finden, wie die Klänge synästhetisch betrachtet ganz genau wahrgenommen werden.
Was haben rote Klänge gemeinsam? Korreliert die Farbe mit der Form oder mit der Materialbeschaffenheit (rau, samtig, flauschig,..)?? Ich untersuche dazu mit analytischen wie künstlerischen Verfahren und Methoden meine eigene synästhetische Wahrnehmung, um anhand der Ergebnisse Kriterien und Wege zu finden, andere Synästhetiker nach Überschneidungen, Gemeinsamkeiten oder Unterschiedlichkeiten befragen zu können.

Die Untersuchung der Farben - April bis September 2008

Als ersten Anhaltspunkt wählte ich den 12-teiligen Farbkreis von Johannes Itten, um für jede Farbe Klänge auszusuchen, die ich dann miteinander vergleichen wollte. Dafür bat ich den Soundsammler und Soundgenerierer Axel Baune, Mitglied des EMU-Ensembles (1), mir aus seinen Klangarchiven instrumentale und vokale Sounds sowie Geräusche vorzuspielen. Abend für Abend hörten wir maigrüne, zinnoberrote, weltraumblaue, zarthellrosa, blutrotdunkle, sienafarbene und andere Klänge. „Wir suchen von 20 bis 1:30 Uhr und haben heute 479 Sounds angehört. - Keiner davon ist lila!”. (Forschungstagebuch vom 21.5.08)

Schließlich hatte ich 470 Sounds zur Weitersortierung ausgewählt und auf Farbordner verteilt:

Im nächsten Schritt erfolgte die Feinunterteilung der einzelnen Farbtöne, die ich nach Mischungsverhältnissen aus meiner Ölmalerei benannte. Bei den 25 orangen Klängen z.B. musste ich 18 Orangetöne auseinanderhalten, wie goldgelborange, helles leuchtendorange, dunkles erdiges orange.
Viele der grünen Klänge waren eigentlich den roten Klängen ähnlich - wie grüner Gong und roter Gong. Was genau am Klang erzeugt also die Farbe?

Untersuchung der Klänge per Frequenzanalyse - September 2008

Die Frequenzanalyse ergab bei gleichfarbigen Klängen keinen Aufschluss, zu viele Unterschiede taten sich auf. Also verglichen wir ähnliche Klänge mit unterschiedlichen Farben: einen grün klingenden indischen Gong mit einem rot klingenden indischen Gong. Der grüne klang dumpfer, tiefer. Daraufhin setzte Axel Baune den roten Gong um Faktor 3 tiefer - er wurde grün. Spielte er aber den roten Gong mit zweifacher Frequenz ab, wurde er gelb. Gaben wir aber dem ehemals roten Gong, der nun grün war, einen kürzeren Anschlag, wurde er am Anschlag blau.
Ein blauer Pianoklang sollte nun grün werden: Axel setzte ihn wieder um Faktor 3 tiefer, doch er wurde nur dunkelblau. Es gibt die Tendenz bei allen Menschen dunklere Töne dunkleren Farben zuzuweisen (nach Jamie Ward), doch entsprechen die synästhetischen Zuordnungen nicht unbedingt dem System heller Klang - helle Farbe.

Grüne Klänge sind für mich geriffelt. Blaue sind glatt. Mit Tremoloeffekt wurde der tiefergesetzte dunkelblaue Pianoklang geriffelt und grün. Synästhesie könnte eine Form der Orientierung sein vermutet Alexandra Dittmar (Dittmar 2007). Ich stelle aufgrund unserer Frequenzanalysen die These auf, dass das Farbenhören einer Klangdifferenzierung gleichzusetzen ist. Unsere Untersuchungen hierzu stecken noch in den Anfängen. Fragen tun sich auf: Könnte man glatte Klänge auch sandstrahlen oder gläsern machen? Wie können wir orange Klänge erzeugen? Wie türkise?

Das Farb-Klang-Archiv nutzte ich sogleich für die Vertonung einer Tessiner Bergkette (Sept. 2008) und die Vertonung des Kandinsky-Bildes „Gelb-Rot-Blau” (Herbst 2008). Hier setzte ich das Bild, um eine Zeitstruktur zu erhalten, in einen Flash-Film um, der uns Spielern Partitur war. (siehe Sinha 2009). Auf dem Kandinsky-Projekt fußte die nächste Idee: Einen wirklich synästhetischen Bühnenraum zu erzeugen. In der vh Ulm (April 2009) projizierten wir mit 6 Beamern auf drei Wände und schrieben synästhetische, logische oder einfach subjektive Flash-Partituren für die Gesamtfläche der drei Wände. Jede Partitur wurde vom EMU-Ensemble in Echtzeit live gespielt.

Die Untersuchung der Formen - April und Mai 2009 in Schöppingen

Haben nun z.B. rote Klänge eine gleiche oder ähnliche Form? Korreliert die Form mit der Farbe? Oder mit der Haptik?
Wiederum hörte ich die Klangordner durch und zeichnete mir die Formen auf, schrieb die Größenangaben dazu. Die Formen bilden dreidimensionale Skulpturen im Raum.

Der Synästhesieforscher und Musikwissenschaftler Georg Anschütz schrieb zu der Formwahrnehmung bei Synästhetikern 1930: „Häufig zeichnet sich der Klangcharakter der Instrumente und Stimmen eigenartig raumhaft aus. Die Trompete bewirkt etwa Säulen oder aber in sich erst wachsende, nach oben immer breiter und massiger werdende Gestalten. Gezupfte Töne oder solche des Klaviers, der Harfe und der Glocken bilden die mannigfachsten Arten von Kreisen, Scheiben, Kugeln, Tropfen und Ähnlichem.”

Als erstes Ergebnis stellte ich fest: die Form des Klanges hat keinen Bezug zur Farbe des Klanges. Vielmehr entspricht sie in vielen Fällen der Raumausdehnung des Klanges, sie ähnelt dann der Hüllkurve.
Weiterhin konnte ich keinen Zusammenhang zwischen der Form und der Materialbeschaffenheit des Klanges feststellen.

Damit gab es keine typische gelbe oder keine typische rote Form. Allerdings traten Formentypen wie z.B. die Tropfenartigen oder die doppelt gewellten auf.
Die künstlerische Umsetzung der Arbeitsergebnisse

Im Farb-Klang-Archiv hatte ich unterschiedlichste Klänge in, mit Untervarianten, 154 Farbvarianten:
Flauschige Klänge, raue, harte, glatte, rubbelige, samtige, hauchzarte Klänge. Allerdings ist ein Klang nicht nur hauchzart, er ist zugleich auch glatt und an der Kante geschliffen oder er ist rubbelig, etwas weich (wie gepolstert) und am Rand hart. Damit lässt sich verallgemeinernd auch nicht feststellen, dass beispielsweise rosa Klänge immer aus geblasenem Glas zu sein scheinen. Wobei diese Feststellung rein gar nichts mit dem Klangerzeugenden Instrument zu tun hat oder haben muss.

Die Ausgangsidee, den zwölfteiligen Farbkreis von Itten zu vertonen, stand jetzt wieder im Vordergrund. Für jede Farbe beschloss ich einen Klang auszuwählen und diesen in der Form des Klanges aus Holz auszusägen, um so einen begehbaren Farbkreis aufzubauen.

Da es keine typische Form für eine Farbe gab, wählte ich auf der einen Seite möglichst unterschiedliche Formen, auf der anderen Seite gleiche Formen wie die Tropfenform für flauschigorange, hellorange, hellgrün und dunkelblau. Die Tropfen aber unterschieden sich wieder in Höhe und Breite.
Die Haptik oder Materialbeschaffenheit stellte eine Herausforderung dar. Die Formen wollte ich mit Stoffen beziehen, um beim Begehen der Installation ein sinnliches Fühlerlebnis, dem Klang entsprechend, zu erzeugen. So war ein schöner hellblauer Klang rau, doch in hellblau und rau gab es nur matthellgraublaue Stoffe, die wiederum nicht dem Klang entsprachen. Ein fantastisch dunkler Klang war samtig, es gab aber keinen Samt in indigoblau. Die Stoffe selbst waren auch nicht so weich wie der Klang oder nicht so hart.
Um den zugehörigen Klang beim Begehen der Form auszulösen, wurden die Formen mit eingebauten Schaltern versehen, die den Impuls an einen zentralen Rechner (3) weiterleiteten, der wiederum den Klang auf den im Raum aufgestellten Lautsprechern ausgab.
Waren mehrere Menschen in der Installation, so löste nur einer einen Klang aus, dann der nächste. Gleichzeitig konnte, wer die Formen nicht betreten wollte, an einem Computerterminal Farbnamen eingeben. Eine Farbprojektion zeigte welcher Klang ertönte.

Manch Besucher stellt dabei fest: „Diese Farbe passt doch gar nicht zu dem Klang! Der Klang ist doch gelb, nicht rot!” und erfuhr so, selbst Synästhetiker zu sein. Oder: „ja, zu der Form habe ich so einen Sound erwartet.”
Ausblick

In Schöppingen entstanden einige begehbare Formen. Die Idee ist, alle 470 Klänge als farbige Form darzustellen, um optische Kriterien zu erhalten, wie die Klänge verglichen werden können. Was haben z.B. die tropfenförmigen Klänge gemeinsam? Oder was die Klänge mit der samtigen Oberfläche?

Fußnoten:
  1. EMU - ist die Gruppe experimentelle Musik und Kunst an der Universität Ulm. Sie besteht aus Künstlern, Musikern, Physikern, Neurowissenschaftlern, Informatikern, Tänzern, Technikern, aus Forschern und Studenten.
  2. The sonification of the color wheel of Johannes Itten - a scientific art project. Axel Baune, Klaus Schmidtke und Christine Söffing. The 7th Annual National Conference of the American Synesthesia Association, September 26 - 28, 2008 at McMaster University, Hamilton Canada.
  3. Programmierung: Andhi Pabst und Klaus Schmidtke
Literatur und Informationen zur Synästhesie
  • Anschütz, Georg: Abriss der Musikästhetik. Leipzig 1930. S. 137
  • Cytowic, Richard: Farben hören, Töne schmecken. Die bizarre Welt der Sinne. München 1996
  • Dittmar, Alexandra (Hrsg.): Synästhesien. Roter Faden durchs Leben? Essen 2007. Verlag die Blaue Eule.
  • Emrich, Hinderk M.; Schneider, Udo; Zedler, Markus: Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: Das Leben mit verknüpften Sinnen. Stuttgart 2002. Hirzel-Verlag.
  • Emrich, Hinderk in: Rowedder, Anna: Für Dich. Luxemburg 2009. Seite 13
  • Sinha, Jasmin Rani (Hrsg.): Synästhesie der Gefühle. Tagungsband zur Tagung Die fröhliche Sieben - Synästhesie, Personifikation und Identifikation. Luxemburg 2009.
  • Van Campen, Cretien: The hidden sense. Synesthesia in art and science. Massachusetts 2008.
  • Ward, Jamie: The frog who croaked blue. Synesthesia and the mixing of the senses.East Sussex 2008
  • Internet: www.synaesthesie.org und www.synaesthesieforum.de

Die begehbare Installation wurde im Künstlerdorf Schöppingen zum Tag der offenen Tür am 10.5.2009
sowie zum Fest "20 Jahre Künstlerdorf Schöppingen" am 15.5.2009 von vielen Besuchern getestet und ausprobiert.

Das Projekt wurde veröffentlicht in:
  • Söffing, Christine: Farben hören - Töne fühlen. Eine synästhetische Klang-Installation. In: Transfer. Beiträge zur Kunstvermittlung. Nr. 7. DAS UNIVERSUM NEBENAN. NRW-Modellprojekt. Stipendien KWW-Kunst-Wissenschaft-Wirtschaft. Schöppinger Forum der Kunstvermittlung. Schöppingen 2009. ISBN 978-3-937828-20-6 Bestellung

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